Wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht so viel verzwickter als der Wiederaufbau des Heeres in den Jahren nach 1918, als das Land ausgeblutet war, die Regierung in Auflösung begriffen, als Bürgerkrieg und Chaos drohten? Schwieriger als der Neuaufbau nach 1945 und aussichtsloser als 1806? Oder wird heute nur noch bis zur nächsten Bundestagswahl vorausgeplant?
Ein Ausflug in Napoleonische Zeiten:
1806: Als das militärische Genie Napoleon zwecks Durchsetzung der Kontinentalsperre mit etwa einer Million gewalt- und plünderungsfreudiger junger Söldner die königliche preussische Armee von etwa 250.000 teils im Rentenalter befindlicher Berufssoldaten überrannte, die immerhin gut zu exerzieren wussten, als er Berlin besetzte und sich dann persönlich dort niederliess, hat diese Niederlage die Deutschen eher wenig interessiert: Es war egal, wer gewann, nur der Krieg möge doch bitteschön recht bald vorbei sein! Doch Hochmut, Ausplünderung und Härte brachten die deutsche Bevölkerung gegen die Besatzer auf (1). Das war eine wichtige Triebfeder für das neu aufkommende Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen(2). Auf diesem Nährboden ist die preussische Reformbewegung entstanden, die 1815 den Deutschen Bund begründete, später Deutsches Reich, und fast ein Jahrhundert darauf – am 1.1.1900 - in einer gemeinsamen Rechtsordnung der ehemaligen Königreiche und Herzogtümer gipfelte. Es war Gerhard Scharnhorst als Mastermind der Reformer und um sich herum geschart eine handvoll Militärs, deren heute bekanntester Vertreter Carl von Clausewitz war, die noch während der Besatzungszeit und unter den Augen der Franzosen militärische Reformen planten und umsetzen konnten. Und es waren die weiblichen Verbündeten um Fürstin Radziwill und Königin Luise, welche am königlichen Hofe den Ton angaben, soziale Reformen durchsetzten und bis zum frühen Tode der Königin 1810 den militärischen Reformern den nötigen Rückhalt beim König gaben. Scharnhorst, vom Stein, Blücher, Gneisenau und Clausewitz schafften es, während der Besatzungszeit die Berufsarmee von genehmigten 40.000 Soldaten in eine um ein vielfaches grössere Armee von Reservisten umzuwandeln. Dies war die Vorstufe des Bürgers in Uniform, die Vorstufe der Wehrpflicht, die dann 1814 eingeführt wurde. Napoleon sah sich nun nicht mehr nur einer zahlenmässig beschränkten Truppe gegenüber, sondern einer Nation kampfbereiter Bürger, die 1812 in gemeinsamer Anstrengung mit Russland die Napoleonische Armee vernichten konnten (und 1815 gemeinsam mit den Engländern dessen neu aufgestellte Armee), jeweils unter grossen Verlusten auf allen Seiten. |
Die Aussage, Deutschland sei heute nicht mehr in der Lage, die Wehrpflicht wiedereinzuführen weil die Strukturen das nicht mehr hergäben, man Jahre bräuchte, um „die Änderungen rückabzuwickeln“ erscheint mir so beschämend für unser Land wie symptomatisch für die Planlosigkeit unserer Bundesregierung.
Verkauft wurde uns die Aussetzung der über zwei Jahrhunderte bewährten Wehrpflicht im Jahre 2011 durch CDU/CSU und FDP als „Anpassung an die künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen“.
Diese Anpassung bezog sich nach meiner Meinung vor allem auf zwei Dinge:
1.
Die Deutschen, über Jahrzehnte notorische Kritiker und Verweigerer eines jeden Krieges, unbequeme Friedens-Demonstranten, Nörgler, die jeden Auslandseinsatz zu einem Politikum machten, ja sogar protestierten, wenn sie gar nicht dabei waren, sie sollten von der Truppe entfremdet werden.
So konnte die Bundeswehr von einer auf Landesverteidigung ausgerichteten Struktur umgestellt werden auf eine solche, die sich besser für Einsätze ausser Landes eignet.
Das ist mit Abstrichen geglückt. Zwar fehlt es der Bundeswehr heute materiell und personell an allen Ecken und Enden, aber zumindest werden die noch möglichen Einsätze nicht mehr hinterfragt. Von wem auch? Einem 20-jährigen ist es heute doch recht gleichgültig, wenn sich deutsche Soldaten in fremden Ländern die Köpfe einschlagen lassen. Es sind nicht seine Kameraden und nicht mehr „unsere Jungs“.
Die Bundeswehr ist jetzt eine Berufsarmee - und wie vor über 200 Jahren fehlt grossen Teilen der Bevölkerung der Bezug dazu. Fallen in einem Einsatz Soldaten, so ist das so interessant, wie wenn BMW in China weniger Autos verkauft. Die Bundesregierung hat freie Hand bei ihren Kriegseinsätzen.
2.
Eine Berufsarmee ist bei gleicher Kampfkraft auf weit höhere finanzielle Mittel angewiesen, als die Armee von Reservisten. Nicht nur geht der Wehrpflichtige und spätere Reservist in Friedenszeiten einer zivilen Beschäftigung nach, während der Berufssoldat dauerhaft im Sold der Armee steht; Wehrpflichtige unterstützen ausserdem als Dienst am Land bei der Bewachung von Objekten, der Gerätewartung, dem Sanitätsdienst und in der Verwaltung.
Ein grosses Reservoir an Wehrpflichtigen ist ausserdem wichtig zwecks Auswahl bei der Personalgewinnung. Nicht zuletzt war die Bundeswehr immer auch Auffanglager, Arbeitsmarktpuffer und Ausbildungsstätte für Berufsanfänger – so wie andere Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes auch, die seit 1992 ebenfalls mehrere hunderttausend Ausbildungs- und Arbeitsplätze gestrichen haben.
Das man dies in 2011 nicht sah, halte ich für ausgeschlossen.
Doch trotz immer steigender Kosten schafft man es noch, unsere Rüstungsindustrie so knapp halten, dass sie nur mittels Aufträgen aus Krisengebieten und durch den eigenen Ausverkauf am Leben gehalten werden kann - ob Munition, Gewehre oder Panzer, gern inklusive Know How - oder auch mal die Endmontage von U-Booten in Südkorea oder nun der Bau von Fregatten in Brasilien.
Da ist unserer Regierung ein echtes Kunststück gelungen: Beraterfirmen und Finanzinvestoren verdienen heute bestens. Aber es könnte ruhig noch mehr sein:
2 Prozent des BIP kann man wohl erwarten!
Dieser grosse "Befreiungsschlag" fand international Anerkennung: Der damalige Verteidigungsminister ist anschliessend in einen US-Thinktank berufen geworden, vermutlich stellvertretend für die ganze Regierung.
Ein Witz fällt mir dazu ein, bei HAHAHA.de abgekupfert und gleich an die neuen Herausforderungen angepasst:
AKK geht an der Spree spazieren. Auf einmal wird eine alte Flasche ans Ufer gespült. Sie nimmt sie, öffnet sie und es erscheint ein Flaschengeist. "Ich danke Dir für Rettung aus der Flasche, Annegret. Du hast nun einen Wunsch frei. Und was es auch sei, ich werde ihn dir erfüllen." AKK überlegt und meint dann: "Hier ist eine Karte mit allen Kriegsgebieten der Erde. Ich möchte, dass dort überall Frieden herrscht." Der Geist nimmt die Karte, stöhnt, und meint: "Das ist einfach zu viel. Dutzende von Konflikten, hassende Menschen, religiöse Fanatiker. Ich bin doch nur ein einfacher Flaschengeist, das kann ich nicht alles wieder geradebiegen. Hast du nicht noch irgendeinen anderen Wunsch?" "Ich hätte da noch einen. Ich möchte, dass die Bundeswehr wieder einigermassen einsatzbereit ist." Der Flaschengeist: "Zeig mir doch noch mal die Karte mit den Kriegsgebieten!" |
(1) Die Preussen folgten dem Beispiel sogleich, als sie im Anschluss an den Krieg Paris besetzten.
(2) Schiller hat 1804 mit „Wilhelm Tell“ einen weiteren bedeutenden Anstoss geliefert